Pommernland ist nicht abgebrannt - Die Einweihung des Pommerschen Landesmuseums in Greifswald als Zeichen für einen neuen Umgang mit jüngster Geschichte in Deutschland (NZZ, August 2000)

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Der Maikäfer fliegt wieder in der historischen deutschen Region Pommern.
Und dieses Mal ist es ein festlicher Anlass. Die Werke der 1945 geretteten Stettiner Gemäldegalerie befinden sich seit Ende Mai diesen Jahres wieder auf pommerschem Boden, rund 100 Kilometer Luftlinie von ihrem früheren Standort im Museum auf der Stettiner Hakenterasse entfernt. Zum Festakt der Einweihung der alten, neuen Gemäldegalerie des noch im Aufbau befindlichen Pommerschen Landesmuseums in Greifswald gab es unter den Gästen und Rednern nur einen Konsens: Was ab diesem Tag in der Hansestadt zu sehen sein wird, hat Weltrang.
Die frühere deutsche Provinz Pommern avanciert ein weiteres Mal zu einer Besonderheit innerhalb der anderen ehemaligen Gebiete jenseits der Oder, in denen vor 1945 Deutsche lebten. Nicht nur dass Pommern die einzige Region ist, von der ein, wenn auch kleiner, Teil in der heutigen Bundesrepublik liegt. Auch bereits mit der endgültigen, vorab über 2 Jahre kontrovers diskutierten Entscheidung von 1995, ein Pommersches Landesmuseum - damals noch mit finanziellen Mitteln aus der Vertriebenförderung geplant - in der Universitätsstadt Greifswald zu errichten, zeichnete sich ein Museum mit wenig pommernspezifischen Werken ab. Im Gegensatz zum Regensburger Museum Ostdeutsche Galerie, dem Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm oder dem Ostpreussischen Landesmuseum Lüneburg, die überwiegend regionalhistorisch wirkende Künstler beherbergen, fasst der Bestand der in Greifswald ausgestellten Gemälde unter vielen anderen Werke von Vincent van Gogh, Frans Hals, dem in Greifswald geborenen Caspar David Friedrich und dem spätmanieristischen Maler Andrea Michieli, genannt Vicentino. Allein die 206 aus Stettin geretteten Gemälde, zu denen nach 1970 noch 241 Gemälde erworben wurden, dazu über 700 Aquarelle und Zeichnungen von Künstlern wie Adolph Menzel, Carl Spitzweg oder dem Wiener Martin von Molitor, verdeutlichen den europäischen Rang, unabhängig vom neuen Standort. Und diese überregionale Bedeutung soll, so möchten es auch der neugegründete Stiftungsrat der Stiftung Pommersches Landesmuseum verstanden wissen, die hauptsächliche Substanz des entstehenden Landesmuseums werden - sehr zur Sorge der Vertriebenen, die ihr" Museum verloren gehen sehen.
Zum Ende diesen Jahres löst sich die zuvor für 33 Jahre verantwortliche Stiftung Pommern auf und mit ihr zum größten Teil das Personal aus gebürtigen, nach 1945 vertriebenen Pommern oder deren Nachkommen. Seit Gründung der Stiftung Pommern 1967 bis zur Überführung der Gemälde nach Greifswald vor einem halben Jahr hatte das Bundesland Schleswig-Holstein als Patenland Pommerns in seiner Landeshauptstadt Kiel der Stettiner Sammlung Asyl" gewährt. Das repräsentative Nebengebäude des Kieler Schlosses, der Rantzaubau, genügte räumlich aber längst nicht der Fülle der verschiedenen Sammlungen. In Kiel haben wir aufbewahrt, hier ist es ein wirkliches Museum, sind die Worte des Noch-Stiftungsratsvorsitzenden der Stiftung Pommern und gleichzeitig bezeichnet er damit das ambivalente Gefühl, dem sich auch der Vertreter des Landes Schleswig-Holstein anschliesst. Die Überführung der bis dato in Kiel gezeigten Stettiner Gemälde reisst ein Loch in das Kulturleben der Stadt. So bekam der Umbruch vor gut 10 Jahren in den Ostblockstaaten und die Gründung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, die mit dem Tage der Wiedervereinigung am 3.10.1990 wirksam geworden ist, eine eher unerwartet-ungewollte Bedeutung. Seit der Schleswig-Holsteinische Landtag am 24. Januar 1991 feststellte, daß sich dadurch die Voraussetzungen für die Patenschaft grundlegend gewandelt haben, war die Stiftung Pommern letztlich in Zugzwang geraten. Einerseits sollte sie - vergangenheitsgegenwärtig - die Belange der Landsmannschaft, d.h. der Vertriebenen berücksichtigen, andererseits durch die unerwartete Wende in der DDR die neuen" Pommern vor Ort mit in ihre Arbeit einbeziehen, noch ganz unabhängig von den heutigen, polnischen Bewohnern Hinterpommerns jenseits der Oder. Dazu kam die Erkenntnis, dass es Menschen gibt, die einen Verlust empfinden, wenn die Heimat wieder real wird. Die Überführung nach Greifswald der mühsam geretteten Stettiner Kunstschätze nach ihrer jahrelangen Verwahrung in der mittelalterlichen Veste Coburg in Bayern, bevor Kiel sie übernahm, kommt einigen alten Pommern einem Verrat gleich. Und paradoxerweise gehen sie darin mit den polnischen Museologen aus Stettin konform: Wenn manche Deutsche in den Kategorien von vor 1945 denken, dann dürfe Pommern nur ein Landesmuseum in seiner Hauptstadt", also in Stettin, haben, wo die Stettiner Gemäldesammlung demzufolge zwangsläufig wieder hingehört.
Es ist eine Gradwanderung, die der hochmotivierte Aufbaustab des Landesmuseum angetreten hat. Der Weg, von einer politischen Lobby zu einer historischen zu werden, die aus dem Lande selbst heraus Forschungen zur Ostseegeschichte betreiben, jenseits jeder Ansprüche, passiert sehr burschikos und fast zu selbstverständlich, ist aber wohl die einzige Möglichkeit eine gesunde Zäsur für den Neuanfang zu finden. Und dieser Neuanfang spiegelt sich auch im Durchschnittsalter des Personalbestandes wider. Ein Großteil der Mitarbeiter spricht wie selbstverständlich polnisch und/oder schwedisch. Die Dienstreisen gehen nach Bornholm oder Lund, in Stettin ist man fast wöchentlich. So konnten von deutscher Seite aus die verständlichen Befindlichkeiten des polnischen Leiters im heutigen Stettiner Nationalmuseum gemindert werden, der seinerseits nach 1945 mit grossen Mühen im nun polnischen Sczcecin das Museum an der Hakenterasse wieder aufbaute.
Ein hochrangiges Museum des Ostseeraumes zu werden, mit Verbindungen nach Stockholm, Kopenhagen, Riga und natürlich auch Stettin und Danzig ist das mit diesem wertvollen Grundbestand an Kunstwerken aus dem Barock und Klassizismus, der Romantik und dem Impressionismus nicht schwere Ziel des verantwortlichen Aufbaustabes in Greifswald. Stiftungsmitglieder wie die frühere Kultusministerin des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern Regine Marquardt, dem Kultursenator der Stadt Greifswald und Vertretern der Universität Greifswald verdeutlichen die auf Zukunft ausgerichtete Arbeit des Landesmuseums und damit eine Neuorientierung hinsichtlich der schwierigen historischen Bezüge. Für dieses Ziel werden dem Landesmuseum nicht nur die Bestände der Stiftung Pommern übertragen, sondern ebenso die Sammlungen der Stadt und Universität Greifswald, darunter der Croyteppich, ein Wandteppich aus dem 17. Jahrhundert samt Rektorornat von 1619. Nach der endgültigen Fertigstellung (gepl. 2004) wird das Museum auf 4 Gebäude verteilt Ausstellungsstücke zur Reformations- und Universitätsgeschichte, Landesgeschichte und Landeskunde beherbergen.
Dass es in dieser Situation ärgerliche bis resignierende Stimmen aus dem Lager der älteren Pommern, vornehmlich aus Hinterpommern gibt, ist ein Wehrmutstropfen für das hochambitionierte Projekt Pommersches Landesmuseum. Rein aus Platzgründen ist die Übernahme all der kleinen, in der Bundesrepublik verstreuten Heimatstuben und ihrer Exponate nicht möglich. Doch gibt es auch private Sammler, die auf polnischen Flohmärkten oder antiquarisch Überbleibsel der deutschen Zeit zur persönlichen Erinnerung erworben haben, oft mit stark regionalem Bezug, oft aber auch mit historischem Wert. Dass diese Sammlungen - nicht immer, aber in vielen Fällen - von Greifswald zurückgewiesen werden, wo sie die einzige Möglichkeit hätten ausgestellt bzw. archiviert zu werden, verbittert noch zusätzlich. Ein Positivum der Zurückweisung ist die immer gängigere Überlegung von alten Pommern, ihre (Regional-) Sammlungen den betreffenden, heute polnischen Orten zu übergeben. Die polnischen Archive sind interessiert, zumal noch etliche Unterlagen aus deutscher Zeit in den örtlichen Ämtern vorhanden sind.
Das Pommersche Landesmuseum nimmt also auch hier unter den 9 anderen deutschen Museen für ostdeutsche Kultur eine Sonderstellung und -funktion ein, wo es um die direkte private Zusammenarbeit und ein normales Vertrauen zwischen Menschen verschiedener Nationen geht. Auf der Einweihungsfeier verdeutlichte der Vertreter des Bundes dennoch wenig verklausuliert die Ambivalenz des Landesmuseums gegenüber Gestern und Morgen, Polen und Deutsche, als er die Frage nach Ankaufmöglichkeiten und-absichten neuer Kunstwerke moderner pommerscher Künstler, deutsch oder polnisch, mit der Frage nach dem grundlegenden Konzept zurückgab, auf die keiner antwortete. Wichtig war zuallererst das Eröffnungsmotto Frans Hals, Caspar David Friedrich, van Gogh und Co. - Willkommen!".